Genau
genommen begann die Reise mit einer Fahrt nach Berlin. Diese war nötig
geworden, um die Reisepässe von Kersten und mir abzuholen, die auf dem Postweg
keine Chance gehabt hätten, da das kirgisische Visum erst am selben Tag in den
Pass gestempelt worden war. Diese Verzögerung lag jedoch nicht an der kirgisischen
Botschaft, sondern vielmehr daran, dass die Organisation unserer Reise zu spät
begonnen hatte.
Johannes
und ich machten uns also auf den Weg nach Berlin. Einen Teil der Strecke
wollten wir mit Fahrrädern zurücklegen. Daher fuhren wir mit unseren Rädern im
Gepäck über Schwerin nach Berlin – auf einer langsamen und geruhsamen Nebenstrecke.
In Berlin angekommen, suchten wir Gernot auf, der noch am Nachmittag zu einer
Party auf’s Land fahren wollte und daher nur kurz zu Hause war. Bis Samstag
stellte Gernots Wohnung ein zentrales und vorzügliches Hotelzimmer für uns dar,
direkt unter’m Fernsehturm am Alexanderplatz.
Der
Zug nach Wittenberge war übervoll und wir kamen einfach nicht hinein mit
unseren Rädern. Stattdessen fuhren wir nach Nauen, immerhin grob in Richtung
Elbe. Von Nauen aus radelten wir durch das Havelland, einer flachen, nicht sehr
aufregenden Landschaft mit sehr ländlichem Charakter. Ein Ort zog allerdings
unser Interesse an sich: Ribbeck. Hier stand der Birnbaum, den Theodor Fontane in
seiner Ballade „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ beschreibt. In Rathenow
schließlich war genug Platz im Zug nach Wittenberge. Von hier fuhren wir auf dernördlichen Seite der Elbe entlang
durch die Brandenburger Elbtalaue. Die Landschaft zeigte sich sehr ursprünglich,
sehr idyllisch und es war schwer vorstellbar, dass die Flut vor einem Jahr eine
ganz andere Landschaft hervorgebracht hatte. Unser Tagesziel war Schnackenburg,
die nach eigenen Angaben kleinste Stadt Deutschlands. Ich dachte, Arnis an der
Schlei hätte diesen Status. Sei’s drum. Auf dem Weg nach Schnackenburg fuhren
wir durch Müggendorf, wo neben 40 Einwohnern 16 Störche leben, also vier Horste
mit je einem Paar und zwei Kindern bewohnt sind.
Wieder
war es sehr heiß und es ging weiter elbabwärts. Das heutige Ziel war Hitzacker,
um von dort mit dem Zug die restlichen Kilometer nach Hause zurückzulegen. Unterwegs
sahen wir die halbe Brücke bei Dömitz, ein Relikt aus dem 2. Weltkrieg.
Aufgrund des extremen Niedrigwassers an der Elbe war die Schifffahrt
mittlerweile eingestellt worden. Glücklicherweise fuhr bei Hitzacker ein „Fährersatzverkehr“
in Form eines Motorbootes, das vier Passagiere und vier Fahrräder gleichzeitig
mitnehmen konnte. Das mit dem Ersatzverkehr begleitete uns unglücklicherweise
noch weiter an diesem Tag.
In Hitzacker fuhr kein Zug, dafür ein „Schienenersatzverkehr“, der jedoch lediglich dafür ausgerüstet war, bis zu drei Fahrräder pro Fahrt mitzunehmen, und das auch nur dann, wenn Platz dafür wäre. Solch ein Bus fuhr ganze drei Mal am Tag und der nächste sollte in drei Stunden fahren. Die Befürchtung, nicht zu den drei Passagieren mit Fahrrädern zu gehören, die am frühen Abend den Bus nach Lüneburg nehmen konnten, war naheliegend, zumal der Bus nicht erst in Hitzacker eingesetzt wurde, es ein hochsommerlicher Sonntag war und im gesamten Wendland viele Leute unterwegs waren.
Daher
entschlossen wir uns, weitere 45 km bis nach Lüneburg mit dem Fahrrad zu fahren.
Es war sehr heiß, wir waren bereits 60 km gefahren und die Aussicht auf weitere
schweißtriefende Kilometer war nicht sehr verlockend, aber es blieb uns nicht
viel anderes übrig. Überraschenderweise erwies sich die Landschaft als sehr hügelig.
Es gab Steigungen und Gefälle von bis zu 14 % und das im nördlichen Niedersachsen.
Im Ort Neu Darchau, nach sehr anstrengenden 20 Kilometern, kam uns dann ein
Engel zu Hilfe: Wir standen gerade an einer Bushaltestelle, überlegten, ob wir
uns noch einen kurzen Blick auf die Elbe gönnen wollten, da hielt ein Bus an
mit Fahrziel Lüneburg und der Fahrer nahm uns freundlich lächelnd mitsamt den
Fahrrädern mit.
Flug
von Hamburg über Sachsen-Anhalt, Sachsen, Tschechien, die Slowakei, über
Ungarn, Rumänien und Bulgarien nach Istanbul. Flugzeit: 2 Stunden und 45 Minuten.
Ein herrlicher Blick über das Schwarze Meer. Im Bogen nach Süden geflogen und
vom Marmara-Meer aus gelandet. In Istanbul traf ich - so war es geplant - Kersten,
die kurz zuvor aus Frankfurt eingetroffen war. Nach dem Start in Istanbul wurde
es bald dunkel. Der Flug war sehr ruhig und wir landeten pünktlich um 3.30 Uhr
in Almaty.
Die
Einreiseformalitäten dauerten sehr lange. Wir mussten diverse Formulare ausfüllen,
alle nur auf Russisch erhältlich und konnten trotz Kerstens Russischkenntnissen
nicht alles verstehen und somit auch nicht ordnungsgemäß ausfüllen. Gestört hat
es offensichtlich niemand. Bis wir schließlich beim Gepäck waren, war viel Zeit
vergangen, aber noch lange kein Gepäck in Sicht. Dann kamen die Rucksäcke und
wir dachten, jetzt sind wir durch. Mitnichten: Das Gepäck wurde ein weiteres
Mal kontrolliert, wie beim Check-In und wieder gab es lange Schlangen.
Dank
Eckis e-mail von vorgestern wussten wir, dass wir an den beutesuchenden Taxifahrern
vor dem Flughafengebäude vorbei gehen und in einer Cafeteria warten sollten,
bis Mini-Busse – Marschrutny-Taxis
– in
die Stadt fuhren. Dieses Café war die ganze Nacht geöffnet. Außer uns waren
zwar keine Gäste dort, aber zwei Frauen arbeiteten.
Wie
verabredet trafen wir uns mit den anderen Mitreisenden um 8.00 Uhr an der Zenkov-Kathedrale
im Panfilov-Park. Als da wären: Ecki aus Berlin, hat mal in Freiberg/Sachsen
Chemie studiert und ist ein unglaublich allgemeingebildeter Mensch. Sigrid, genannt
Siggi, aus Freiberg, eine geniale Köchin und Mutter von Conrad (13 Jahre).
Dabei war auch Carsten, Siggis Partner und Conrads Vater, Verfahrenstechniker
und begeisterter Rennradfahrer zum Biertrinken im nahen Böhmen. Kersten, ursprünglich
aus Thüringen, studierte auch mal in Freiberg. Ihr zweites Studium machte sie
zur Theologin. Als solche arbeitet sie beim Weltkirchenrat in Genf. Andree, der
uns mit seiner Fröhlichkeit erheiterte, kommt aus der südöstlichsten Ecke
Sachsens, studierte ebenso in Freiberg, lebt jedoch in Berlin. Ja und ich, ...
aber das ist ja bekannt. So waren wir also zu sechst.
Jetzt entsteht vermutlich die Frage, wie ich zu dieser Gruppe komme. Ecki und Gernot (der ursprünglich auch mitfahren wollte, aber leider verhindert war) gehören zum Wandergrüppchen, welches sich jedes Jahr Ende August für eine Woche zur Alpenwanderung irgendwo in Österreich, der Schweiz oder Italien trifft. An einem Wochenende im Juni vergangenen Jahres auf dem Segelschiff Lovis zwischen Rügen und der dänischen Insel Mön hat sich zwischen uns dreien die Idee für diese Reise entwickelt. Alles klar?
Carsten,
Siggi, Kersten und Ecki waren, neben vielen anderen Reisen, bereits mehrmals in
Zentralasien gewesen, insbesondere im Tienshan-Gebirge. Andree kannte die
Gegend nicht direkt, dafür andere Regionen der ehemaligen UdSSR und hat ganz
Südamerika bereist.
Wo
waren wir stehen geblieben? Kersten und ich waren also in Almaty angekommen.
Glücklicherweise waren die Hotelzimmer der anderen nicht vor 11.00 Uhr zu
räumen. Daher konnten wir wenigstens ein wenig von dem Schlaf nachholen, der
uns in der Nacht geraubt worden war. Schließlich waren wir zu einer Uhrzeit
angekommen, zu der wir uns nach unserer inneren Uhr bald ins Bett gelegt
hätten. Die Nacht hatte für uns also schlichtweg nicht existiert.
Anschließend:
Frühstücken, Tee trinken in einem Café im Park, e-mails nach Hause geschrieben,
Einkauf auf dem Bazar (leckerste Antipasti, Trockenfrüchte, Obst und Brot).
Dann fuhren wir mit dem Stadtbus Richtung Gebirge. Unser Ziel war der Ort
Kokschoky, etwa 20 km südwestlich von Almaty auf 1500 m gelegen, am nördlichen
Rand des Nord-Tienshan. Dort fanden wir einen schönen Platz zum Zelten und ein
Café, welches Bier und Schaschlik-Spieße anbot. Kulinarisch war das ein guter Anfang,
denn die Schaschlik-Spieße wurden bis auf Tashkent nicht besser.
Geplant war nun, in der kommenden Woche zwei Gebirgszüge des Tienshan Richtung Süden zu überqueren und anschließend am Issyk-Kul die Beine hoch zu legen.
Voller
Überzeugung, das Richtige zu tun, gingen wir also von Kokschoky aus einen Weg
hinauf, an einer Wasserleitung entlang, auf fies steilen Stufen, bestehend nur
aus Eisenstäben und einem beinahe durchgängig vorhandenen Handlauf, 400 Höhenmeter
aufwärts, bis zu 45° steil. Am Ende war ein ebener Weg, der aber leider wieder
hinab führte zum Bach, welcher unser Ausgangspunkt gewesen war, nur etwas
weiter talaufwärts. Hier hätten wir entweder eine Brücke gebraucht oder eine
gute Stelle, um den Bach zu durchqueren. Beides war nicht möglich. Wir suchten
alles ab und so machte sich langsam die Gewissheit breit, einen Fehler begangen
zu haben. Zumindest ließ es sich am Bach gut zelten und auch das Lagerfeuer war
sehr schön. Eine Hoffnung war noch, dass der Fluss am nächsten Morgen deutlich
weniger Wasser führen könnte und somit ohne Gefahr zu durchwaten sei. Mit
diesem Hoffnungsschimmer schliefen wir ein.
Der
Fluss war natürlich genauso reißend wie am Vortag und es war klar, dass wir den
ganzen Weg zurückgehen mussten, vor allem die ekelhaften Eisenstabstufen wieder
absteigen mussten. Diese Aussicht war ziemlich schrecklich und es machte auch
wirklich überhaupt keinen Spaß. Jedenfalls kamen wir alle heil unten an, etwas
erschöpft, aber die Vorfreude auf Bier und Schaschlik-Spieße verbesserte unsere
Laune beträchtlich. Mittlerweile hatten wir auch begriffen, was unser Fehler
war: Weiter hinten im Tal gab es eine zweite Wasserleitung, an der ein Weg entlang
ging. Diesen Weg wollten wir eigentlich gehen. Die Motivation, noch einmal
solch steile Stufen hinauf zu steigen, war nicht bei uns allen vorhanden, und
so organisierten wir uns ein Taxi für die Fahrt zum Stausee Almatinskoje.
Das
Fahrzeug war ein russischer Lada. Das Gewicht, das der Wagen befördern sollte,
setzte sich aus sechs Wanderern mit sechs Rucksäcken von über 20 kg und einem
Fahrer zusammen. Die Rucksäcke wurden im Kofferraum gestapelt, welcher offen
blieb. Einige Schnüre sollten alles zusammenhalten und eine Plane Schutz vor
dem Regen geben. Die Straße war eine Schotterpiste mit tiefen Schlaglöchern,
auf der wir 1000 Höhenmeter zurücklegen sollten. Der Fahrer verfolgte sehr ehrgeizig
das Ziel, uns dort oben am See abzusetzen. Und es klappte! Unser Fahrer fuhr
sehr umsichtig um jedes Schlagloch
herum. Der Wagen keuchte und zeigte sich sehr beansprucht. Es tat richtig weh.
Doch der Ehrgeiz des Fahrers ließ es nicht zu, dass wir ein Stück zu Fuß gehen
wollten und nur unser Gepäck hochgefahren werden sollte. Zuweilen mussten wir
aber doch an Brücken aussteigen, da der Lada hier aufgelegen wäre. Bei dem
Zustand der Brücken waren wir darüber nicht ganz unglücklich.
Am
Morgen hatte es oberhalb des Sees geschneit, es schien die Sonne und der See
zeigte sich türkisfarben. Unser Weg ging geradewegs nach Süden in Richtung kirgisischer
Grenze und dem See Issyk-Kul. Die Landschaft war grandios, doch ich war mehr
mit der Anstrengung durch meinen schweren Rucksack beschäftigt. Es tat ganz
schön weh und mein Gefühl war, dass ich trotz all den Kilometern auf dem
Fahrrad und beim Joggen (und derer waren es viele seit dem Frühjahr) keine gute
Kondition habe. Nun gut, ich kam auch an, nur immer etwas später als die anderen.
Mittlerweile bin ich überzeugt, dass ich schon eine gute Kondition hatte. Hätte
ich mich nicht so vorbereitet wie dieses Jahr (was ich sonst vor Wanderungen
nie getan habe), hätte ich diese Anstrengung wohl nicht geschafft.
Eine
Flussdurchquerung gab es noch an diesem Tag und dann fand sich ein schöner
Lagerplatz auf ca. 3100 m.
Die
Sonne schien, am Himmel war keine Wolke zu sehen, die Sicht auf das hinter uns
liegende Tal und die um uns liegenden Gletscher war wunderschön. Wir stiegen
auf zum Osernij-Pass (3507 m), der die Grenze zwischen Kasachstan und Kirgistan
darstellt. Der Abstieg endete im breiten, von Ost nach West verlaufenden Tal
des Flusses Tschonn-Kemin. Das Tal liegt auf ca. 3000 m zwischen zwei Gebirgskämmen
mit Spitzen von etwa 4500 m. Das gesamte Tal ist eine große Weide, wo früher
kirgisische Hirten mit ihren Tieren den Sommer verbracht haben. Nachdem die
Weidewirtschaft sehr zurück gegangen ist, leben hier unzählige Murmeltiere.
Einen eindeutigen Weg im Tal gibt es nicht. Der Murmeltierpfad ist etwas platt
getreten. Die Gefahr ist jedoch, in eines der vielen Löcher zu treten, die zu
den Gängen der Murmeltiere führen. Der Fluss Tschonn-Kemin ist sehr reißend und
an keiner Stelle zu durchwaten. So wanderten wir zunächst Richtung Osten, um
den Tschonn-Kemin dort zu überqueren, wo er aus der Gletschermoräne heraus plätschert.
Bis dorthin gab es noch zwei Flüsse zu durchwaten, wovon der zweite jedoch am
Nachmittag zu viel Wasser trug und wir somit wieder mal an einem sehr schönen
Platz unsere Zelte aufstellten.
Den
südwestlichen Talgar zu überqueren zeigte sich doch schwieriger als zunächst
angenommen. Wir mussten ganz schön suchen, um eine Stelle zufinden, an der sich
der Fluss ohne Gefahr meistern ließ. Wir schafften es, indem wir uns fest an
der Hand nahmen und mit Wanderstöcken einen zusätzlichen Halt zwischen den Steinen
fanden.
Nur
100 m oberhalb der erwähnten Moräne, aus der sich der Tschonn-Kemin speist,
sollte sich der schönste See des Tienshan-Gebirges befinden, der Dshassil-Kel
auf 3116 m. Über die Moräne aufsteigend sah man noch nichts von der Pracht.
Doch der erste Blick hinunter zum See war atemberaubend. Vor uns lag ein tiefblauer
länglicher See mit kristallklarem Wasser und vergletscherten Bergen im Hintergrund.
Die Nordseite des Sees stellte einen Geröllhang dar, der bis in den See hinein
reichte. Auf der Südseite dagegen schmiegte sich sanft eine Wiese zwischen See
und den angrenzenden Bergen. Hier fanden wir ein paar ebene Plätze für unsere
Zelte.
Am
Nachmittag zog sich der Himmel bedrohlich zu. Wir sahen feine Streifen von
Schlechtwetterwolken und hörten von Ferne ein Gewitter kommen. Sanfter Regen
tropfte auf das Zelt.
Montag,
11. August
Am
nächsten Morgen wachten wir völlig unerwartet bei strahlend blauem Himmel auf,
und der See zeigte sich mit einer feinen Eisschicht überzogen.
Unsere
Wanderung ging nun auf der Südseite des Tschonn-Kemin in das Seitental des Ak-Su.
Hier wanderten wir zunächst über Geröll und Blockfelsen, die mit Steinmännchen
sehr gut markiert waren. Weiter oben schließlich ging der Weg sanft ansteigend
auf den Gletscher zu. Zunächst war unter unseren Füßen noch mehr Geröll als
Eis, später dann immer mehr Eis, jedoch spaltenfrei, sodass jeder nach wie vor
alleine gehen konnte.
Am
Rande des Gletschers, wieder mehr im Geröll, suchten wir uns auf ca. 3650 m
einen Lagerplatz. Eine relativ ebene Fläche mussten wir zunächst von vielen
kleinen Steinchen befreien. Die Heringe konnten an diesem Tag im Rucksack
bleiben. Hier halfen nur kleinere Felsbrocken, die an den Leinen für Spannung
sorgten. Zum Glück steht ein Igluzelt allein durch das Gestänge. Der Abend und
die Nacht waren sehr kalt und unsere Kochcrew speiste das einzige Mal im Zelt.
Mit allen verfügbaren Klamotten, mit Mütze, Schal, Handschuhen und zwei Paar
Wollsocken schließlich war die Nacht einigermaßen erträglich. Aber ich musste
doch noch mal raus in dieser Nacht. Es war Vollmond und das war ein besonderes
Schauspiel. Der Mond beleuchtete den vor uns liegenden Gletscher und
verbreitete ein wunderschönes Licht. Ein besonders heller Stern, ein Planet,
wie wir vermuteten, trug ebenso zu dieser Stimmung bei. Hinterher erfuhr ich,
dass es mal nicht die Venus war, sondern der Mars. Die Atmosphäre dieser Nacht
bleibt mir in jedem Fall unvergesslich.
Bis
zu einer Höhe von etwa 3400 m war die Vegetation des Gebirges sehr vielseitig gewesen.
Vor allem blühten verschiedenste Blümchen in vielen bunten Farben. Ein
Pflanzenbestimmungsbuch hatten wir nicht dabei und ich kenne leider auch nicht
viele alpine Pflanzen. Bemerkenswert waren in jedem Fall die enorm großen
Disteln (ca. 50 cm hoch) und mit Blüten von gut 15 cm Durchmesser. Tiere sahen
wir weniger. Die bereits erwähnten Murmeltiere waren in einer für uns ungewöhnlich
großen Anzahl vorhanden. Über uns kreisten manchmal Greifvögel, vielleicht
Adler? Groß waren sie in jedem Fall. Die sehr scheuen Schneeleoparden bekommen
Menschen ohnehin nicht zu Gesicht. Etwas traurig war dafür der Anblick der vielen
erfrorenen Marienkäfer im Eis des Gletschers.
Mittlerweile
waren wir richtig auf dem Gletscher angekommen. So war es auch besser, nun den
Klettergurt anzulegen und angeseilt über den Gletscher zu gehen. Weiterhin ging
es sanft ansteigend bergauf, immer einer noch schwach sichtbaren, festgetretenen
Spur nach. Die letzten etwa 100 Höhenmeter bis zum Pass wurden richtig steil.
Hier benötigten wir auch unsere Eispickel, um einen guten Halt im Schnee zu
finden. Der „östliche Bosteri“ auf 4110 m bot schließlich eine grandiose Sicht
zurück zum Gletscher, nach Süden hingegen war es sehr wolkig und die Sicht zum
Issyk-Kul war nur für kurze Zeit frei. Dann schimmerte das Blau des Sees durch
die Wolken hindurch, etwa 2500 Höhenmeter tiefer. Bis dorthin war es jedoch
noch ein weiter Weg.
Die
Nacht verbrachten wir mehr als 1000 m unter dem Pass. Die Aussicht auf eine
wärmere Nacht in deutlich sauerstoffreicherer Luft ließ uns trotz Regen und
Hagel noch ein gutes Stück gehen.
Kurz
vor der Zivilisation entschlossen wir uns, unsere Uhren auf kirgisische Zeit umzustellen.
Dies bedeutete, dass wir an diesem Morgen eine Stunde gewannen. Wie praktisch.
Der Abstieg über Wiesen und Weiden zog sich hin. Hier begegneten wir nun auch
das erste Mal Hirten mit ihren Herden. Je weiter wir Richtung Issyk-Kul kamen,
desto wärmer wurde es und wir sahen noch viele Kilometer auf staubigen Straßen
vor uns.
Sehr
müde und schöpft erreichten wir am Nachmittag den Ort Bosteri, wo wir die erste
Möglichkeit nutzen, Suppe zu essen. Dann ging es an die Suche nach einer Unterkunft.
Sie endete bei einer sympathischen jungen Frau, die auf ihrem Grundstück
mehrere Zimmer vermietete. Dusche und Plumpsklo befanden sich im Garten. Das
Haus und der Garten waren schön gestaltet und die Familie mit drei kleinen Kindern
war sehr freundlich.
Die
Region um den Issyk-Kul ist sowohl für Kirgisen als auch für Kasachen, tendenziell
für Besserverdienende, ein beliebtes Urlaubsziel. Der Issyk-Kul (was übersetzt
warmer See heißt) ist 170 km mal 70 km groß und übertrifft damit den Bodensee
um ein Vielfaches. An den Sandstränden liegend, schweift der Blick leicht zur
Südküste mit der beinahe 5000 m hohen Bergkette des Süd-Tienshan und lädt zum
Träumen ein. Tatsächlich war es wie im Traum, als wir begriffen, dass wir ohne
aufstehen zu müssen mit Getränken und Speisen versorgt werden würden. Hier gab
es z.B. geräucherten Fisch, gekochte Maiskolben, Früchte, kalte Getränke oder
Eis.
Ein
Faulenzer-Tag am Strand des Issyk-Kul. Ganz so faul war ich dann aber doch
nicht. Meine Abhängigkeit von den anderen Mitreisenden in Sachen Sprache
hatte mich dahingehend motiviert, zumindest
die kyrillische Schrift zu lernen. Eine dreistündige Lektion am Strand genügte
und ich war der russischen Schrift insofern mächtig, als dass ich Schriftzüge
lesen konnte, Hinweisschilder mit den Zielorten in Bussen, die Namen von
U-Bahn-Stationen in Tashkent usw. Das Gefühl, nun nicht mehr nur Hieroglyphen
vor mir zu sehen, war sehr erhebend. Das Lesen geht nach wie vor nur langsam
und manche Buchstaben sind mir noch nicht so vertraut, aber ein Anfang war es
immerhin und eine große Bereicherung. Auch die Zahlen habe ich an diesem
Nachmittag gelernt, da sie in Ländern, wo Preise oft ausgehandelt werden, doch
eine wichtige Rolle spielen.
Vom
Issyk-Kul ging unsere Fahrt weiter in die Hauptstadt Bishkek und von dort ohne
Aufenthalt nach Kara Balta, eine weitere Stunde westlich. Hier hatten wir vor,
eine deutsche Familie zu besuchen, von der wir über ein paar Ecken erfahren
hatten. Sie hatten eine lose Einladung ausgesprochen, dort im Garten zu
übernachten. Eine telefonische Anmeldung war aufgrund technischer
Schwierigkeiten nicht möglich gewesen und so standen wir einfach vor der Türe.
Beim
Abendessen stellte sich dann der Knüller heraus: Christoph und Kathrin kommen
aus Celle und Christoph kennt Johannes von der Schule. Christophs Schwester
Konstanze ist eine gute Freundin von Johannes und war mit ihrer Familie bis
just an diesem Morgen für drei Wochen in Kara Balta zu Besuch. So etwas kann
eigentlich überhaupt nicht sein. Aber es war tatsächlich so.
Siggi,
Carsten, Andree und Ecki hatten den Wunsch, noch einmal für ein paar Tage ins
Gebirge zu gehen. Kersten und ich wollten lieber mehr Zeit in Usbekistan haben.
So entschieden wir uns, eine Woche getrennte Wege zu gehen. Die Vier fuhren am
frühen Abend ins Gebirge, Kersten und ich blieben noch eine Nacht bei
Christoph, Kathrin sowie den Kindern Karl und Anna.
Am
Abend stiegen wir in den Bus nach Tashkent. Die bevorstehende Fahrt mit einer
etwa 400 km langen Transitstrecke durch Kasachstan verursachte schon im
Vorhinein einige Bauchschmerzen. Ein Problem war die Sache mit dem kasachischen
Visum. Unsere Ausreise über den Osernij-Pass im Tienshan-Gebirge war illegal,
da das Land nicht ohne einen Stempel im Pass verlassen werden darf. Dieser
Sachverhalt war uns durchaus bekannt. Die Alternativen für die Transitstrecke
waren allerdings nicht sehr verlockend. Wir hätten eine sehr lange und mühsame
Strecke Richtung Osh fahren müssen, um von dort direkt nach Usbekistan einzureisen.
So wären wir vermutlich drei Tage unterwegs gewesen anstatt einer Nacht auf
unserer geplanten Route. Die zweite Alternative war, von Bishkek nach Tashkent
zu fliegen. Da aber nicht täglich Flüge gingen, diese zudem recht teuer waren
und gerade Wochenende, war auch diese Variante nicht sehr überzeugend.
Das
zweite Problem war ein Fehler bei meinem usbekischen Visum. Unglücklicherweise
war es erst ab dem 21. August gültig, während Kerstens Visum bereits ab 18.
August galt. Hier waren wir uns im Klaren, dass ich eine hoffentlich nicht zu
hohe Summe zahlen müsste, um bereits vor der Zeit in Usbekistan einreisen zu
dürfen.
Schon
nach einer Stunden Fahrt erreichten wir die kirgisisch-kasachische Grenze. Wie
erwartet, bemerkte der kasachische Grenzposten unseren fehlenden Stempel
sofort. Der kirgisische Beamte dagegen hielt sich überhaupt nicht daran auf,
dass wir ja auch keinen kirgisischen Einreisestempel hatten. Nun wurde
diskutiert. Kersten musste viele Fragen beantworten. Das Misstrauen war groß.
Wir durften nicht erwähnen, dass wir über das Gebirge ausgereist waren. Der Grenzposten
zeigte sich äußerst unfreundlich und hatte eine sehr unangenehme Art, Kersten
Fragen zu stellen. Nach längerer Zeit schrieb er auf ein Papier, dass er von
uns $ 200,- haben wolle. Kersten fragte mich, was wir ihm geben wollten. Ich antwortete
$ 50,-. Diese Zahl ignorierte er schlichtweg. Nachdem sich einige Minuten
nichts bewegte, forderte Kersten mich auf, $ 50,- aus meiner Bauchtasche zu
holen, ohne zu zeigen, was sonst noch an Geld drinnen sei. Ich zeigte ihm die
Scheine. Als plötzlich ein Vorgesetzter den Raum betrat, musste ich die Scheine
schnell wieder verschwinden lassen. Schließlich ging das Licht im Zimmer aus
und die Geldübergabe fand statt. Die Abmachung war nun, dass wir nach unserer
Einreise am 5. August nie aus Kasachstan ausgereist seien. In Kirgistan sind
wir demnach nicht gewesen. Dies bedeutete auch, da unser kasachisches Visum
nach wie vor gültig war, dass wir auch kein Transitvisum benötigten. Denn das
hatten wir auch nicht. Von dieser Bestimmung hatten wir nichts gewusst.
Kersten
kochte vor Wut über die Behandlung durch den Grenzposten, über die Visabestimmungen
und über das Geld, das wir bezahlt hatten. Als wir jedoch von einem
französischen Mitreisenden erfuhren, dass sein Transitvisum $ 35,- gekostet
habe, waren wir etwas versöhnt. Schließlich waren wir mit den $ 50,- für uns
beide recht gut weggekommen.
Die
Nacht verlief relativ ruhig und wir konnten einigermaßen schlafen. Um 5.00 Uhr
morgens endete die Busfahrt jedoch abrupt und alle Passagiere stiegen aus.
Kersten erfuhr, dass wir uns an der kasachisch-usbekischen Grenze befanden,
dass die Grenze bis 6.00 Uhr geschlossen sei und dass wir zu Fuß die Grenze
passieren müssten. Busse und Taxis fuhren auf der anderen Seite ausreichend, um
die letzten 15 km nach Tashkent zurückzulegen. So warteten wir also am Rand
einer staubigen Straße, tauschten unsere übrig gebliebenen kirgisischen Som in
usbekische Sum und hofften, dass das fehlerhafte Visum nicht für allzu große
Probleme sorgen würde.
Als
sich das grüne Tor öffnete, drängelte sich eine große Menschenmenge darauf zu.
Nachdem unser kasachisches Visum durch die Aktion der vergangenen Nacht nun in
Ordnung war, gab es hier keine Probleme. Unabhängig davon mussten wir sechs verschiedene
Posten passieren. Welch ein Aufwand, um ein Land zu verlassen! Spannend wurde
es schließlich beim usbekischen Grenzposten. Kersten ging voran. Ihre Papiere
waren schließlich in Ordnung. Die gründliche Inspektion ihres Passes samt Visum
ließ jedoch Schlimmes befürchten. Dann kam mein Pass an die Reihe. Wir waren
darauf eingestellt zu erklären, dass aus unerfindlichen Gründen dieser Fehler
passiert sei (was auch stimmte), dass wir um eine Verlängerung um drei Tage
bitten wollten und bereit wären, den üblichen Betrag in Höhe von $ 40,- für ein
Visum erneut zu bezahlen. Überraschenderweise war diese Erklärung nicht nötig.
Es machte klack und der Einreisestempel war im Pass. Als wir schließlich noch unser
Gepäck durch die Röntgenkontrolle gaben, sagte ein freundlicher Beamter,
„Welcome to Uzbekistan“. Das waren völlig unerwartete Worte nach den nicht so
erfreulichen Erfahrungen mit Grenzkontrollen in dieser Nacht.
Die
gierigen Taxifahrer auf usbekischer Seite wollten umgerechnet $ 20,- für eine
Fahrt ins Zentrum von Tashkent. Wir verzichteten, liefen weiter stadteinwärts
in der Überzeugung, dass ein paar Kilometer von der Grenze entfernt der Preis
deutlich günstiger sein würde. Der Stadtbus für $ 0,10 war schließlich nicht zu
unterbieten und so erreichten wir Tashkent gegen 8.00 Uhr morgens, müde aber
sehr erleichtert.
Mittlerweile
war es also Montag geworden. Wir befanden uns in Tashkent, hatten aber nur
einen vagen Plan, wohin wir wollten. Beim Umsteigen in einen anderen Bus sprach
uns eine junge Usbekin in sehr gutem Englisch an und bot ihre Hilfe an. Sie
begleitete uns zur Bank für den Geldwechsel und beschrieb ein passables, zentrales
und nicht so teures Hotel.
Am
Nachmittag erkundeten wir die gesamte Innenstadt zu Fuß und lernten auch die
Metro kennen, ein wunderbar einfaches System mit prunkvollen, Kronleuchter-behangenen
und in Marmor gefassten Stationen.
Unser
Ziel war es, die schweren Rucksäcke bis zum Rückflug in Tashkent zu lassen und
nur mit einem ganz leichten Gepäck weiterzureisen. Die Gepäckaufbewahrung
gestaltete sich jedoch schwierig und so entschieden wir uns, eine weitere Nacht
in Tashkent zu bleiben. So hatten wir einfach mehr Zeit, das zu organisieren.
Im Hotel Uzbekistan waren wir schließlich erfolgreich und konnten dort für $
1,- pro Tag unsere Rucksäcke lassen. Das war es uns absolut wert.
Eine besondere Erfahrung an diesem Tag war noch der Besuch des Chorsu-Bazar, dem größten Markt von Tashkent. Hier herrschte ein herrlich buntes Treiben. Begeisternd waren auch die große Farbenvielfalt und die unterschiedlichsten Gerüche von all den leckeren Nahrungsmitteln und Speisen. Zum Mittagessen kauften wir uns fertigen Salat, bestehend aus eingelegten Auberginen, feinsten Möhrenstreifen, Gurken, Kohl, Knoblauch, Petersilie und frischem Koriander. Das Ganze mit frischem Fladenbrot war ein Gedicht. Am Abend saßen wir wieder im großen Park unter Bäumen, aßen Schaschlik-Spieße und tranken Bier und Grüntee.
Ein
ziemlich alter Ikarus-Bus aus Ungarn brachte uns von Tashkent nach Samarkand.
Für 280 km benötigte er gute fünf Stunden. Entgegen aller Erwartungen fuhr der
Bus in Tashkent normal gefüllt los, sodass jeder Sitzplatz besetzt war. Nach
wenigen Minuten bereits füllte sich der Bus jedoch zunehmend. Im Gang drängten
sich die Menschen und richteten sich auf mehrere Stunden im Stehen ein. Nahte
eine Polizeikontrolle, welche es häufig gab, mussten sich alle Passagiere im
Gang niederknien, danach durften sie sich wieder aufrichten. Es wurde deutlich,
dass solch eine Überbelegung nicht erlaubt ist, der Fahrer und sein Begleiter,
welcher alles in Zusammenhang mit den Fahrgästen organisierte, sich durch die
zusätzlichen Passagiere Geld in die eigene Tasche wirtschafteten. Nach fünf
Stunden im überfüllten Bus bei über 30° war der luftige Bazar in Samarkand mit
all den Gerüchen und Genüssen wieder ein Fest für uns.
Ein
durch Mundpropaganda gefundenes nettes kleines Privathotel mit wunderschönem
Garten war für die nächsten drei Tage unser Zuhause. Die Besitzerin sprach hervorragend
Deutsch, ihre Schwester, mit der sie das Haus leitete, ebenso gut Englisch. Am
Abend konnten die Gäste am mehrgängigen traditionellen Mahl teilnehmen, was wir
einen Abend auch sehr genossen.
Den
Vormittag verbrachten wir im Innenhof der Tilla-Kari Medresse, einer von drei
ehemaligen Koranschulen des Registan. Der Name Registan steht für den gesamten
Gebäudekomplex. Die drei Medressen sind im Quadrat zueinander angeordnet,
welches nach Süden hin offen ist. Der Registan wird als das herausragendste
Bauwerk Zentralasiens bezeichnet. Die älteste der drei Medressen entstand im
15. Jahrhundert zur Regierungszeit des Astronomen Ulughbek. Hier, wie auch bei
den beiden anderen Medressen, wurde der kahle Sandstein auf faszinierende Art
und Weise mit Tausenden von blau- und türkisfarbenen Kacheln verziert. Riesige
Flächen an den Eingangstoren (Iwan), an den Minaretten und den Kuppeln heben
sich auf diese Weise von der einheitlich hellbraunen Farbe der Gemäuer sowie
der gesamten Vegetation ab. Bei genauer Be-obachtung der Mauern wird deutlich,
dass ein paar blaue Steine in einer besonderen Anordnung noch kein bedeutendes
Kunstwerk ausmachen. Erst durch die Größe der Säulen, der Fassaden oder Wände
wird das Künstlerische erlebbar.
Ein
als Aufsicht eingesetzter Polizist ermöglichte uns den Aufstieg zur Spitze
eines Minaretts. Offiziell ist dies wohl nicht vorgesehen. Die Frage „Do you
like Minaret“ amüsierte uns schon sehr. So organisiert sich auch der Polizist
ein kleines Zusatzeinkommen. Die Aussicht von oben war sehr schön, vor allem,
da die vielen türkisfarbenen Kuppeln in der Stadt nun auf einen Blick sichtbar
wurden.
Die
Gräberstraße Shar-i-Zindah mit unzähligen Mausoleen, auf ähnliche Art verziert
wie der Registan, stellte heute unser
Kulturprogramm dar. Wir ließen einfach die Atmosphäre auf uns wirken, guckten
uns die verschiedenen Kacheln genau an, vermieden aber, uns mit Namen und Daten
der in den Mausoleen Begrabenen verwirren zu lassen.
Auf
dem Bazar begeisterte uns die Stoff-Abteilung. Die Fülle und Farbenvielfalt von
mehr als zehn Meter langen Stoffbahnen, von Stangen knapp unter den Zeltdächern
herunterkommend, ließ uns nur noch staunen. Usbekische Frauen kaufen sich keine
fertigen Kleider. Sie suchen sich auf den Bazaren Stoffe aus und lassen aus
diesen Kleider nähen oder nähen sie selbst. Der Schnitt dieser Kleider, sowie
die darunter getragenen lockeren Hosen, ist immer ähnlich. Die Stoffe dagegen
zeigen eine individuelle Note. Das Straßenbild, vor allem in Samarkand, ist daher
sehr bunt.
Am
Nachmittag geschah dann das Unglück, das Kersten dazu veranlasste, früher nach
Hause zu fliegen. Sie knickte im Garten unserer Unterkunft um, spürte einen
starken Schmerz und bekam trotz sofortiger Kühlung und Hochlagerns einen
dicken, blaugefärbten Fuß. Ein von unserer Gastgeberin Kutbiya liebevoll
begleiteter Krankenhausbesuch brachte zwar eine Röntgenuntersuchung mit sich,
das Bild ließ jedoch nichts erkennen.
Die Diagnose lautete nur „ruhig stellen“. Das Röntgen kostete, nebenbei erwähnt,
umgerechnet $ 2,20. Auch in welch kurzer Zeit wir das Krankenhaus wieder
verließen, überraschte uns. In der Notaufnahme in einem deutschen Krankenhaus
muss man ja bekanntlich viel Geduld mitbringen. Aber vielleicht ist dafür die
Qualität der Untersuchung eine andere.
Da
Kersten sich nicht ohne fremde Hilfe bewegen konnte und eine weitere Abklärung
ihrer Verletzung in Deutschland wünschte, entschlossen wir uns, zusammen nach
Tashkent zu fahren. Die 280 km legten wir dieses Mal im Taxi zurück. Ein Platz
im Sammeltaxi kostete pro Person $ 6,-, wir bezahlten drei Plätze und hatten so
das Taxi für uns.
In
Tashkent versuchten wir zunächst am Flughafen eine Umbuchung von Kerstens Flug
zu organisieren. Da die Flugzeuge nach Europa alle jedoch in der Nacht abfliegen,
war keines der Büros der Fluglinien geöffnet. Auch das Büro von Turkish Airlines
(mit der Kersten geflogen war) in der Stadt war am Samstagnachmittag natürlich
geschlossen. So suchte ich ein Reisebüro auf, welches wir von den ersten Tagen
in Tashkent her kannten. Hier hatten wir uns nach innerusbekischen Flügen
erkundigt. Glücklicherweise war hier noch offen, die junge Frau im Reisebüro
sprach ein gutes Englisch und zeigte sich sehr motiviert, uns zu helfen. Dafür
machte sie mehr als drei Überstunden an diesem Nachmittag. Ich saß stundenlang
bei ihr im Büro, da wir auf die Bestätigung des neuen Flugtickets mit
Uzbekistan Airways warteten, die einfach nicht kam. Irgendwann hatten wir beide
Hunger und Firuza schlug vor, doch nebenan in einem Café Essen zu gehen.
Als ich nach vielen Stunden wieder zu Kersten ins Hotel zurück kam, war sie sehr erleichtert und wir konnten doch zuversichtlich ihrer Rückreise entgegen sehen. Ganz so war es dann leider nicht, aber das ist eine andere Geschichte. Trotz aller Schwierigkeiten landete Kersten Montagmorgen in Frankfurt. Bei einer erneuten Untersuchung ihres Fußes stellte sich dann jedoch heraus, dass der Mittelfußknochen gebrochen war. Nach der Operation ist dieses nicht so schöne Kapitel
von Kerstens Reise in einigen Monaten nun hoffentlich abgeschlossen.
Am
Sonntag fuhr ich zurück nach Samarkand in der großen Hoffnung, nun auch die
anderen vier Mitreisenden wieder zu treffen. Wir hatten uns für dieses Wochenende
jeden Abend um 18.00 Uhr am Registan verabredet. Am Sonntagabend klappte es.
Siggi, Carsten, Ecki und Andree waren bereits Samstagmorgen in Samarkand eingetroffen.
Einen
weiteren Tag blieben wir in Samarkand, genossen die vielen kulinarischen
Leckereien, die großartigen Bauwerke und ein weiteres Menü in unserer ersten
Unterkunft bei Kutbiya.
Der
Ikarus-Bus von Samarkand nach Buchara schlug alle Rekorde. Die Sitze zeigten
den bloßen Federkern, der Schaumstoff war größtenteils nicht mehr vorhanden,
die Innenverkleidung existierte nur an machen Stellen und die Fenster gingen
nur teilweise auf. Nach einiger Zeit bot man uns weiter vorne Sitze an, die in
einem etwas besseren Zustand waren. Mit Lesen oder Träumen überstanden wir alle
die gut fünfstündige Fahrt. Nach einigen Rundgängen in der Altstadt von Buchara
entschieden wir uns für ein nettes kleines Privathotel in einer Seitenstraße.
Auch dieses hatte einen Innenhof und, was eine große Erleichterung war, Räume
mit Klimaanlage. Mittlerweile hatten wir 37°.
Wenige Minuten von unserer Unterkunft befand sich das in Steine eingefasste Bad „Lhabi-Hauz“ aus dem 17. Jahrhundert. Hier und an vielen anderen Plätzen in der Stadt konnte man Moscheen, Medressen, Mausoleen und ein Minarett aus dem 12. Jahrhundert bestaunen. Das Kalon-Minarett steht zentral von mehreren anderen Gebäuden umgeben und ist ein Beweis einer sehr stabilen Baukunst. In all den Jahrhunderten mussten an ihm nur kosmetische Reparaturen vorgenommen werden. Ein zehn Meter tiefer Sockel verhinderte zudem Schäden durch häufigere Erdbeben. Dieses Minarett konnte ganz offiziell bestiegen werden und bot wiederum einen großartigen Blick auf das gesamte Ensemble von mittelalterlichen Bauwerken in Buchara. Der Blick von oben vermittelte den Eindruck, dass hier noch deutlich mehr türkisfarbene Kuppeln und große, bunt verzierte Eingangsportale zu den Moscheen und Medressen zu sehen sind als in Samarkand.
Drei,
nach meinem Empfinden, besonders schöne Bauwerke sind die Mir-i-Arab Medresse
mit der Kalon-Moschee, direkt neben dem Kalon-Minarett, die etwas baufällige
Moschee Bala Hauz, etwas außerhalb des Zentrums, sowie die Medresse Ulughbek.
Mir-i-Arab
zeichnet sich durch ihren großen Innenhof, durch eine sehr vielfältige Gestaltung
der Ornamente und natürlich durch ihre Lage direkt neben dem großen Minarett
aus. Sie entstand im 16. Jahrhundert. Die Mosche Bala Hauz wurde zwar erst im
18. Jahrhundert gebaut, hat aber eine prächtige, bunt ausgemalte Kasettendecke
im Eingangsbereich. Die Medresse Ulughbek schließlich, gebaut Anfang des 15.
Jahrhunderts, ist im Bereich des Portals mit besonders schönen Farben und Formen
verziert. Eine Art gedrehtes Seil um den Torbogen herum gilt als ein seltenes
Schmuckelement.
Die
Stunden vergingen mit Besichtigungen, mit einer langen Mittagspause, mit gutem
Essen und ausgiebigem Tee trinken. Und es war immer noch sehr heiß.
Nach
Kara Balta hatte mich erneut der Durchfall eingeholt, sodass ich den Vormittag in
unserer Unterkunft blieb. Am Nachmittag ließ es mir dann doch keine Ruhe, ich
wollte an unserem letzten Tag in Buchara noch einmal Shoppen gehen. Das war
auch recht erfolgreich, denn ein schöner gewebter Teppich liegt nun in meiner
Wohnung.
Am
frühen Abend fuhren wir im Auto unseres Gastgebers Nasreddin nach Kagan, einem
kleinen Ort außerhalb Bucharas, in dem sich der Bahnhof befindet. Mit dem
Nachtzug im bequemen Liegewagen fuhren wir nach Tashkent zurück.
Frühstück
am Busbahnhof und Einchecken im Hotel Uzbekistan, da ich noch eine Nacht in
Tashkent verbringen musste. Der Flug der anderen Vier ging bereits in dieser
Nacht. So lagerten den Tag über vier weitere Rucksäcke auf meinem Zimmer.
Wir
gingen zum Chorsu-Bazar und genossen ein Konzert eines Streichquartetts im
Park, wo wir uns ausruhten und Tee tranken. Das Konzert war im Grunde Straßenmusik,
da sie jedoch direkt vor unserem Tisch stattfand, hatte das Ganze für uns mehr
einen Konzertcharakter. Die Musiker/Innen waren hervorragend und wurden von uns
mit einem schon überdurchschnittlichen Beitrag gewürdigt. Die Einkommen in
Orchestern im Bereich der ehemaligen UdSSR sind bekanntermaßen sehr niedrig.
Ein letztes Schaschlik-Essen im Park, dann fuhren die Vier im geräumigen Wolga zum
Flughafen.
Das
Fernsehen zeigte in BBC World eine sehr interessante Reportage über den Dirigenten
Daniel Baremboim sowie über Äthiopien. An diesem letzten Tag in Usbekistan
verbrachte ich viele Stunden mit Schreiben (mein Reisetagebuch verlangte nach
Ergänzungen), einem letzten Besuch auf dem Chorsu-Bazar, mit Dösen im Park und
auch etwas gelangweilt einfach herumsitzend, da es in Tashkent beim dritten
Besuch innerhalb von zwei Wochen nicht viel Neues zu entdecken gab. Die
Altstadt Tashkents wurde in den 60er Jahren bei einem Erdbeben größtenteils
zerstört. Daher ist der Charakter eher der einer Ex-Sowjetischen Großstadt, mit
teilweise orientalischem Flair. Ein paar letzte Einkäufe, vor allem von wunderschöner
Töpferware, rundeten den Tag ab.
Kurz
vor Mitternacht organisierte ich mir ein Taxi. Auch das war noch zu früh, aber
am Flughafen konnte ich schließlich auch warten. Der Flug sollte um 3.30 Uhr gehen,
verspätete sich noch, sodass ich um ca. 4.00 Uhr völlig müde in meinem Sessel
einschlief. Die knapp fünf Stunden bis Istanbul verbrachte ich, abgesehen von
Start, Landung und Essen, selig schlafend. Der Landeanflug auf Istanbul am
gerade erwachenden Morgen war sehr schön. Viele Moscheen mit ihren spitzen
Minaretten waren zu sehen, auch der Bosporus und die darüber führenden Brücken
sowie das südlich von Istanbul gelegene Marmara-Meer. Ein kurzer Rundgang im
schön gestalteten Flughafengebäude, dann ging es schon weiter, in drei Stunden
direkt nach Hamburg. Auch diese Zeit verschlief ich, abgesehen von Start,
Landung und Frühstück. Als ich die Elbe kurz vor Lauenburg sah, waren wir ja
schon fast angekommen.
Silke
holte mich wie verabredet ab. Johannes und meine Mitbewohnerin Ingrid waren beide
als Lehrer in der Schule und somit verhindert. Silke blieb zum zweiten
Frühstück mit Leckereien vom Bazar und Grüntee. Später kam Ingrid dazu. Am
Nachmittag schließlich kam Johannes und ließ sich stundenlang von meinen Reiseerlebnissen
berichten. Fast hätten wir die Zeit verschlafen und den Einkauf nicht mehr
geschafft. Mein Kühlschrank war ja völlig leer.
Vier
aufregende und ereignisreiche Wochen waren zu Ende gegangen. Vieles ging mir im
Kopf rum, vieles galt es aufzuarbeiten und nachzulesen. Glücklicherweise hatte
ich noch eine ganze Woche frei und konnte mich somit langsam an das Leben zu
Hause in Hamburg gewöhnen.
Nun möchte ich noch einige besondere Situationen auf
dieser Reise beschreiben, Kuriositäten, die mir begegnet sind oder auch
zentralasiatisch erscheinende Charakterzüge (bei aller Vorsicht vor
Beurteilungen). Diese Erzählungen gehen noch einige Seiten. Wem das zu lang
ist, der kann ja jederzeit aufhören. Manch einen interessiert ja vielleicht
sogar alles.
Usbekistan
macht auf den ersten Blick einen freundlichen Eindruck, die Menschen wirken
fröhlich, das Bild der Hauptstadt ist das einer weltoffenen Stadt. Auffallend
ist jedoch eine große Polizeipräsenz. Ob in Straßen, auf Plätzen, auf Metrostationen
oder im Café beim Mittagessen, Polizisten gehören zum Straßenbild. Ihr
Auftreten ist jederzeit freundlich, eine besonders mächtige Ausstrahlung geht
von ihnen nicht aus. Uns wurde durch ihre Anwesenheit ein Gefühl von Sicherheit
vermittelt. Als Kersten und mich z.B. ein betrunkener Soldat auf einem U-Bahnhof
nervte (von Belästigen kann man nicht sprechen), waren sofort zwei Polizisten
zur Stelle, gaben ihm zur Begrüßung die Hand und forderten ihn auf,
mitzukommen. Die ganze Angelegenheit wurde freundlich aber bestimmt abgehandelt.
Wir fühlten uns wohl und der Soldat wurde offensichtlich nicht bloßgestellt.
Die
übliche Präsenz der Staatsgewalt nimmt jedoch überhand, sobald etwas offiziellere
Veranstaltungen stattfinden. In Samarkand z.B. eröffnete während unseres
Aufenthalts ein internationales Musikfestival mit Musikgruppen aus mehr als 40
Ländern. Diese trafen sich zu einem Wettbewerb. Schon Tage vor der Eröffnung
wurden immer mehr Kontrollen positioniert und bestimmte Wege im Umfeld des
Registan hermetisch abgesperrt. Am Tag der Festivaleröffnung waren die Straßen um den Registan herum kilometerweit
gesperrt und das Polizeiaufgebot immens. Sogar die Internetzugänge sollen an diesem
Tag gekappt worden sein. Uns wurde erzählt, Präsident Karimov werde erwartet.
Am Tag vor dem usbekischen Unabhängigkeitstag, dem 1. September, zeigte sich in
Tashkent das gleiche Bild.
Und
damit kommen wir zum eigentlichen Problem Usbekistans. Islam Karimov war bis
zum Ende der Sowjetzeit erster Sekretär der usbekischen kommunistischen Partei.
Im Jahre 1990 ließ er sich als Präsident wählen. Eine 1989 gegründete Gruppe
Intellektueller mit 1,5 Mio. Mitgliedern wurde nicht zur Wahl zugelassen. Nach
dem Putsch in Moskau im August 1991 rief Karimov am 1. September desselben
Jahre die Unabhängigkeit Usbekistans aus. Die erste direkte Wahl eines Präsidenten
im Dezember 1991 endete mit dem Ergebnis von 86 % der Stimmen für Karimov, eine
Zahl, die Zweifel an einer freien Wahl aufkommen lässt. Der einzige Gegenkandidat
(ein Schriftsteller) gehörte einer einflusslosen Partei an, die nur 12 % der
Stimmen für sich gewinnen konnte. Kleinere oppositionelle Bewegungen haben sich
in den folgenden Jahren immer wieder formiert, eine reelle Chance, als
Opposition zu überleben, hatten sie jedoch nicht. Unterdrückung oder Verbannung
führten dazu, dass Oppositionelle entweder im Untergrund leben oder im Exil in
Russland, der Türkei oder Afghanistan. Die Regierungsperiode des Präsidenten
wurde 1995 bis ins Jahr 2000 verlängert. Karimov regierte weiter ohne Opposition
und er ist auch heute noch im Amt.
Alles,
was im Land geschieht, bestimmt Islam Karimov, von durchaus gewichtigen Themen
wie über die Höhe des Goldabbaus zu entscheiden bis hin zu den Gehältern der
städtischen Gärtner einer Kleinstadt.
Den
Islam hat Karimov verboten. (Interessanterweise ist der Vorname Karimovs „Islam“.)
Wer sich öffentlich zum Islam bekennt, sei es durch Besuche in der Moschee als
auch durch Äußerlichkeiten wie einen langen Bart, muss mit Unterdrückung
rechnen. Der Ruf des Muezzin als Ankündigung der Gebetszeiten ist verboten. Mullahs
dürfen unter einer Bedingung predigen, nämlich dann, wenn sie in ihren Gebeten
die Regierung mit lobenden Worten einbeziehen.
Die
Menschen halten sich wohl mehr oder weniger an diese Vorgaben. Sie machen einen
eher angepassten Eindruck. Nach einem Zeitungsartikel in der taz vom 28. August
2003 ist diese Angepasstheit nicht verwunderlich, da zuweilen eine große
Willkür herrscht in der Beurteilung von Menschen und deren vermeintlichen
Verbrechen. So wurde ein junger Mann zum Tode verurteilt, weil man ihm vorwirft,
ein islamischer Terrorist zu sein. Die Argumente für die Verurteilung sind laut
diesem Bericht höchst zweifelhaft, es gäbe ausreichend Alibis, um die Unschuld
des Mannes zu beweisen. Am Urteil wird dennoch festgehalten.
Ob
die folgende Begebenheit mehr mit dem heutigen diktatorischen Regime zu tun hat
oder mit der sowjetischen Vergangenheit ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass für
Geldwechsel von z.B. US-Dollar in usbekische Sum ein mittlerer Papierberg bewältigt
werden muss. Bei der Einreise muss zunächst einmal auf einem Formblatt die Höhe
der einzelnen Devisen aufgelistet werden. Beim Wechsel in einer der wenigen
Wechselstuben der Nationalbank (andere offizielle Geldwechselmöglichkeiten gibt
es in Usbekistan im Gegensatz zu Kasachstan und Kirgistan nicht) wird dann ein
sog. Zertifikat mit Computer ausgedruckt, mein Pass mit Visa wird photokopiert,
auf meinem bei der Einreise ausgefüllten und abgestempelten Formblatt wird der
gewechselte Betrag eingetragen und dann schließlich bekomme ich die usbekischen
Geldscheine.
Als
ich am letzten Abend meine nicht benötigten Sum in US-Dollar zurücktauschen
wollte, machte der Computer Probleme. Wartend, dass es bald klappen könnte, verbrachte
ich zunächst eine gute halbe Stunde am Schalter. Eine Frage meinerseits, ob es
auch handschriftlich eine Möglichkeit gebe, das Zertifikat auszustellen, wurde
verneint. Ich müsse warten, bis der Computer wieder funktionieren würde. Aha,
und wenn das ein paar Tage dauert... Nach weiteren 15 Minuten wurde mir vorgeschlagen,
ob ich nicht noch Souvenirs kaufen wollte. Es gäbe so viele schöne Dinge zum
Mitnehmen. Mein Gepäck war schon sehr schwer und das, was mir wichtig war,
hatte ich bereits gekauft. Ich verneinte also. Meine Dollar bekam ich immer
noch nicht. Nach einer Stunde schließlich schlugen die Damen vor, ich solle zu
einem anderen Hotel gehen, in dem sich eine weitere Wechselstube befinden würde.
Dort würde der Computer wohl funktionieren.
Eine
Obrigkeitshörigkeit ist das. Wenn der Computer nicht geht, dann werden gewisse
Vorgänge eben nicht bearbeitet. Das Ganze wäre vielleicht nicht so schlimm
gewesen, wenn die Kommunikation etwas freundlicher gewesen wäre.
Noch
etwas zum Thema Geld: Es verliert schnell an Wert in Usbekistan. Die Folge sind
zu niedrige Werte der Scheine. Es sind 10er, 25er, 50er, 100er, 200er, 500er und selten 1000er-Scheine in Umlauf.
Zweihundert und Fünfhundert Sum sind die gebräuchlichsten Scheine. Der
Wechselkurs im August 2003 war $ 1,- zu 1000,- Sum, € 1,- zu 1100,-. Jetzt stelle
man sich vor, wie das aussieht, wenn man $ 100,- in Sum eintauschen möchte. Das
Bündel an Geldscheinen, das man dafür bekommt, ist schon beeindruckend. Und bis
man für eine Übernachtung in einem besseren Hotel 15.000 Sum, also umgerechnet
$ 15,- abgezählt hat, braucht es schon etwas Zeit. An manchen Tagen habe ich in
meiner Tasche plötzlich einen Stapel Scheine gefunden, mit einem Gummiband
zusammengehalten. Darüber ist man zunächst sehr erfreut, bis klar wird, dass es
sich vielleicht um umgerechnet $ 10,- handelt.
Glücklicherweise
musste ich nicht alle Ausgaben in usbekischer Währung bezahlen. Privatleute (in
Unterkünften, Teppichhändler etc.) nehmen alle die amerikanische Währung. Nach
den Gesetzen ihres Landes ist es ihnen verboten, US-Dollar zu besitzen, dennoch
macht es jeder. Hier ist es dann doch nicht so weit her mit der Angepasstheit.
Am
vorletzten Tag war Carsten mal wieder beim Friseur zum Rasieren. Siggi und ich
hatten daraufhin Lust, beim Damenfriseur nebenan unsere Haare waschen und Spitzen
schneiden zu lassen. Wir erkundigten uns nach dem Preis: 500 Sum ($0.50) erschien uns doch recht preiswert. Kaum willigten wir ein, bekam
jede auch schon ein Handtuch in die Hand und eine Flasche Shampoo. Wir mussten
also über einer Badewanne unter einem mickrigen Wasserstrahl unsere Haare
selber waschen.
Das
Schneiden wurde dann schon von professioneller Seite gemacht. Dann wurden wir
unter die Trockenhaube gesteckt, bei 35°. Dies war die Vorbereitung für’s Frisieren.
Siggi mit ihren blonden, eher dünnen Haaren wurde eine richtige Damenfrisur
verpasst, mit eingedrehten Spitzen und viel Haarspray. Der Versuch, meine Haare
ebenso nach innen zu drehen, schlug fehl und so wurde glücklicherweise auch
kein Haarspray an mir verschwendet. Ich wurde lediglich schön gekämmt. Ein
nettes Erlebnis war das schon, zeigt ein Friseurbesuch doch auch Charakteristisches
eines Landes.
Noch
eine nette Geschichte: Die Sandalen von Siggi machten schon einen sehr mitgenommenen
Eindruck. Beide Sohlen waren in der Mitte durchgebrochen, eine sogar völlig und
hielt nur durch die Riemen und den Fuß noch irgendwie zusammen. In Buchara, direkt
am Lhabi Hauz, dem Bad mit uralten Maulbeerbäumen drum herum (im 15.
Jahrhundert gepflanzt), saß ein junger Mann und wies sich als Schuhmacher aus.
Mehr aus Spaß sagte ich zu Siggi, dort könne sie ja ihre Schuhe reparieren
lassen. Sie willigte ein. Der Schuhmacher kriegte sich nicht mehr ein, als er
die Schuhe sah. Aber seine Idee war blendend: Mit einem dicken Zwirn verband er
mit großen Stichen hin und her beide Schuhhälften und Siggi konnte die Wege der
letzten Tage in deutlich besserem Tragekomfort zurücklegen.
Der
Bus von Kara Balta nach Tashkent war für kirgisische Verhältnisse ein moderner
Bus. Es war ein Mercedes, der die Aufschrift „Donau-Tours“ trug. Dieser Bus war
bei weitem nicht der einzige, der früher mal in Deutschland fuhr. Wir sahen
viele solcher Busse, häufig auch PKW, die Schriftzüge oder Aufkleber mit dem
D-Zeichen nicht entfernt hatten.
Tashkent,
Samarkand und Buchara sind Universitätsstädte. Offensichtlich lernen viele
Studenten Englisch. So erlebten wir des öfteren die Situation, dass wir von jungen
Leuten angesprochen wurden. Der Grund war folgender: Sie wollten durch ein
längeres Gespräch mit uns ihre Englischkenntnisse verbessern. Nachdem ich ohne
Kersten nach Samarkand zurückgekommen war und alleine vor dem Registan auf meine
Mitreisenden wartete, wurde ich sofort in ein Gespräch verwickelt. Eigentlich
war ich müde und wollte eher für mich sein. Es wurde mir jedoch schnell klar,
dass dies an diesem Ort nicht möglich sein würde. So unterhielt ich mich eben,
auch aus dem Grund, da ich nun sozusagen versorgt war und nicht von weiteren
jungen Leuten in Gespräche einbezogen werden konnte.
Wie
sah nun ein Wandertag im Gebirge aus?
Meist
wachten wir zwischen 8.00 Uhr und 9.00 Uhr auf. Erst dann war überhaupt daran
zu denken, das Zelt zu verlassen, da es nachts in Höhen zwischen 3000 m und
knapp 3700 m doch recht kalt war (in den höheren Lagen in jedem Fall unter
Null). Wenn noch Wasser vom Vortag da war, machten wir uns mit unserem Benzinkocher
Wasser heiß. Es wurde für Tee benötigt sowie für unser Müsli mit Milchpulver.
Anschließend räumten wir das Zelt leer und packten alles zusammen. Dabei
spielte der Fakt, ob das Zelt bereits getrocknet war, die größte Rolle. Nur am
Anfang hatte es noch nachts geregnet. Durch Kondenswasser wird jedoch bekanntlich
das Außenzelt sowohl von innen als auch von außen nass. Wir hatten das Ziel,
immer erst dann loszuwandern, wenn das Zelt getrocknet war. Dies gelang sogar.
Die
täglichen Teilstrecken waren sehr unterschiedlich lang. Es gab immer eine längere
Mittagspause an einem schönen Platz, wo wir es uns gemütlich machen konnten,
essen, lesen oder dösen konnten.
Sobald
wir am Nachmittag einen Lagerplatz gefunden hatten, bauten wir unsere Zelte auf
und organisierten Wasser. War der Bach direkt neben den Zelten, so war dies
unproblematisch. War der Bach eine ganze Ecke entfernt, so wurden alle verfügbaren
Flaschen und Wasserbeutel zusammengesucht und ein oder zwei Personen holten
knapp 20 Liter Wasser. Damit kamen wir bis zum nächsten Tag gut über die
Runden. Das Zelt wurde eingerichtet: Isomatte aufblasen, Schlafsack ausrollen,
Schlafklamotten auspacken, Kochzubehör auspacken, Lebensmittel auspacken, wichtige
Utensilien wie Taschenlampe, Taschentücher, Waschzeug, Handtuch, Reisetagebuch,
Buch zum Lesen etc. gut erreichbar ins Zelt legen. Meistens noch vor dem Abendessen
habe ich mich am Bach gewaschen und schon die Klamotten für die Nacht
angezogen. Später, besonders wenn es ohne die Sonne schnell kalt wurde, war das
zu ungemütlich.
Dann
wurde gekocht. Unser Kocher machte fast die gesamte Wanderung über nicht so
richtig mit, sodass es einiger Geduld bedurfte, ihn zu bedienen. Ecki kümmerte
sich liebevoll um unser Kochgerät und war somit auch unser Koch Nr. 1. Wir hatten
die Reisegruppe in zwei Kochteams eingeteilt. Kersten, Ecki und ich kochten
zusammen sowie Siggi, Carsten und Andree. Unser Grüppchen hatte sich
entschieden, uns überwiegend mit den vermeintlich leichten Trekkingtüten (da
der Inhalt gefriergetrocknet) aus dem Outdoor-Laden zu verpflegen. So gab es
z.B. Indonesisches Curry-Huhn mit Gemüse und Reis, Chili con Carne oder Indisches
Huhn mit Gemüse und Nudeln. Wir hatten jedoch auch Bulgur und Cous-Cous mit,
das mit Tütchen-Soße und gefriergetrocknetem Gemüse eine leckere Mahlzeit
ausmachte. Von unseren Trekking-Mahlzeiten waren eigentlich nur das Indonesische
Curry-Huhn sowie Chili con Carne gut genießbar. Bedeutend leichter als das
Essen unserer Kolleginnen und Kollegen, bestehend aus Nudeln, Suppen, Soßen, Salami
und Knoblauch waren die Tüten wohl nicht und sie waren sehr teuer. Mit
Sicherheit haben sie Brennstoff gespart, denn der Inhalt musste nur in
kochendes Wasser eingerührt werden und anschließend ziehen. Aber dieser Vorteil
wiegt die Nachteile nicht auf. Das nächste Mal geht es also wieder konventioneller
zu. Das wurde uns dreien klar.
Je
nach Außentemperatur saßen wir nach dem Abendbrot noch bei einer Tasse Tee vor
dem Zelt oder eben auch im Zelt. Jetzt wurde Tagebuch geschrieben, gelesen, geredet
oder die Natur betrachtet. Dunkel wurde es ungefähr um 21.00 Uhr. Dann haben
wir meistens auch bald geschlafen oder eben bei Taschenlampenlicht weitergelesen.
Wie
lebt eine Familie in Kirgistan oder Usbekistan?
Die
Häuser auf dem Land oder in kleinen Städten sind entweder aus Holz gebaut oder
aber aus Lehmziegeln. Diese Bauweise ist weit verbreitet. Sie erscheint uns
sehr aufwändig, da jeder einzelne Ziegel zunächst in Handarbeit hergestellt
werden muss. Einzeln stehende Häuser haben einen Garten um’s Haus und in der
Regel einen hohen Zaun zur Straße hin. In den Altstädten von Samarkand und
Buchara sind die Häuser häufig mit den Nachbarhäusern zusammen gebaut. So geht
man zunächst durch ein Tor in den Innenhof und betritt das Haus erst dann.
Durch diese Bauweise kommt dem Innenhof eine große Bedeutung zu. Hier spielt
sich das Leben der Familie und der Nachbarn ab. Hier wird in den Sommermonaten
gegessen und geredet oder der Raum wird als Schlafzimmer genutzt.
Die
Familie setzt sich nicht nur aus der Kernfamilie zusammen. Entweder wohnt die
Schwester mit im Haus oder der Bruder. Natürlich leben auch die Eltern bei
ihren Kindern, wenn sie alt sind. Häufig kommen Verwandte oder Nachbarn zu Besuch.
Dann werden Neuigkeiten ausgetauscht.
Wer
arbeitet in einer usbekischen oder kirgisischen Familie?
Vielfach
sind es die Frauen, die sich in finanzieller Hinsicht um die Familie kümmern.
Diese Aussage gilt für Tashkent mit Sicherheit nur eingeschränkt oder gar
nicht. Auf dem Land jedoch oder in kleineren Städten verkaufen die Frauen auf
den Bazaren, betreiben Frauen Cafés oder kleine Restaurants, organisieren
Frauen ihre kleinen privaten Hotels und so manches mehr. Dies liegt mit hoher
Wahrscheinlichkeit an den vielen Alkoholproblemen der Männer in den Ländern der
ehemaligen UdSSR.
Einige
Worte zum Essen: Eine sehr wichtige Speise ist die Suppe. Es gibt sie in
verschiedensten Varianten: Mit Gemüse, mit Nudeln, mit Fleisch, alles zusammen,
kalt mit saurer Sahne usw. Ein sehr leckeres Gericht ist Plov. Hier handelt es
sich um eine Reispfanne. In einer großen gusseisernen Pfanne wird Reis gebraten
und ein Stück Hammelfleisch gegart sowie feinste Möhrenstreifen und
Kircherbsen. Vom großen Stück Hammel kommen auf jede Portion Plov einige kleine
Stücke Fleisch. Die bereits erwähnten Schaschlik-Spieße, zumeist Hammelfleisch
u.a. mit Koriander gewürzt, werden auf einem ganz schmalen Grill zubereitet.
Die Spieße sind gerade so lang, dass sie am oberen und unteren Ende auf dem
Rahmen des Grill aufliegen können und das Fleisch somit optimal gegart werden
kann.
Sehr
lecker sind die frischen Fladenbrote, die sich je nach Gegend leicht unterscheiden.
Direkt aus dem Steinofen sind sie natürlich besonders köstlich. Teigtaschen,
Manty oder Samsa, meist mit Fleisch und Zwiebeln gefüllt, sind eine leckere Zwischenmahlzeit.
Das Angebot an Obst ist großartig. Ob Trauben, Pfirsiche, Aprikosen,
Nektarinen, Äpfel, Birnen, Beeren oder Melonen, alles ist frisch, saftig und
sehr aromatisch. Besonders Honigmelonen haben wir mit Genuss verzehrt. Sie sind
um ein Vielfaches größer als wir sie kennen und im Geschmack nicht
vergleichbar. Getrunken wird in der Regel Grüntee. Die zentralasiatische Küche
bietet keine überwältigende Vielfalt an Gerichten und sie ist eher deftig. Wer
damit klar kommt und Fleisch mag, hat in kulinarischer Hinsicht in jedem Fall
eine gute Zeit. Wie gesagt, die Berge an Obst, Nüssen, Trockenobst und
besonderen Köstlichkeiten wie geröstete Kichererbsen oder in Sesam geröstete Erdnüsse,
um nur einige zu nennen, lassen einen nicht verhungern. Die Hygiene ist im
Zusammenhang mit Essen kein größeres Problem. In Restaurants und Cafés sieht
alles sauber und gepflegt aus. Auch das Wasser in den Städten ist wohl einigermaßen
in Ordnung. Bei Obst stellt sich natürlich die Frage, ob man Birnen, Trauben
oder Pfirsiche überhaupt essen soll. Ob man sie waschen soll oder lieber nicht.
Wir haben alles gegessen. Wir hatten zwar auch einige Verdauungsprobleme, wobei
hier wohl nicht nur unsauberes Wasser eine Rolle spielte, sondern z.B. auch
ungewohnte Gerichte oder Gewürze.
Damit
wären wir beim Thema Einkauf. Geschäfte gibt es so gut wie keine (außer Apotheken).
Eingekauft wird in Zentralasien auf dem Bazar. Hier können nicht nur sämtliche
Lebensmittel gekauft werden, sondern alles, was im Haushalt notwendig ist, aber
auch Stoffe, Schuhe, Hygieneartikel, kleine Elektrogeräte, Bürobedarf ... eben
alles. Die meisten Produkte haben hier wohl einen festen Preis. Gehandelt wird
auf dem Bazar eher selten. Ich habe es nur dann gemacht, wenn mir der Preis,
den ich zahlen sollte, zu eindeutig ein Touristenpreis war.
Überall,
wo nur Touristen einkaufen, gehört das Handeln zum Kaufvorgang dazu. Der
erstgenannte Preis ist offensichtlich so angelegt, dass noch ein deutlicher
Spielraum bleibt. Inwiefern dieser Spielraum auch genutzt wird, liegt an den
Fähigkeiten des Käufers. Glücklicherweise sprechen die Händler, die Töpferware,
Seidenschals, Teppiche, Kissenbezüge usw. verkaufen, zumeist ein wenig
Englisch. Ich war jedenfalls nur ansatzweise in der Lage, die durch die
Inflation sehr großen Beträge und damit verbundenen hohen Zahlen auf Russisch
zu verstehen.
Jetzt
gibt’s noch einige Infos und Fakten zu den bereisten Ländern.
Größe:
2.717.000
Quadratkilometer (8-mal so groß wie Deutschland)
Einwohner: 16
Millionen
Hauptstadt: Astana
(im Norden) mit 400.000 Einwohner
Grenzen mit: Russland
im Norden und Westen, China im Osten, Kirgistan im Südosten, Usbekistan im
Süden
Die größte und
wichtigste Stadt ist die ehemalige Hauptstadt Almaty im Südosten mit 1,5 Mio.
Einwohnern.
Größe: 198.000
Quadratkilometer (Deutschland ist 1,8 mal größer)
Einwohner:
5
Millionen
Hauptstadt:
Bishkek
mit 800.000 Einwohnern
Grenzen mit: Kasachstan im Norden und Westen,
China im Osten und Süden, Usbekistan im Südwesten
Größe: 447.000
Quadratkilometer (1,3 mal größer als Deutschland)
Einwohner:
24
Millionen
Hauptstadt: Tashkent
mit 2 Millionen Einwohnern
Grenzen mit: Kasachstan im Norden, Kirgistan im
Osten, Afghanistan im Südosten, Tadschikistan im Südosten, Turkmenistan im
Süden, Kasachstan im Westen
Nun
ist’s aber genug. Ein herzliches Dankeschön für’s „Zuhören“.
Ulrike Benkart Norderstedt, September 2003